Willem Barentszoon von Terschelling

Am Rand des Wattenmeers liegt ein Dorf, aus dessen grau-beigen Giebeln ein Mann hinausblickte – in eine Welt, in der die Sonne im Sommer nicht untergeht und Eisberge dichter waren als Gedanken. Willem Barentszoon, geboren um 1550 in Formerum auf Terschelling, war mehr als ein Sohn der Insel: Er war der Horizont gesucht, ein Navigator, Kartograf, wagemutiger Entdecker. Sein Lebensweg führte nicht in die engen Gassen von Amsterdam, sondern in die ungezähmte Arktis hinein – dort, wo später das Meer, dessen Entdeckung ihm zugeschrieben wird, seinen Namen tragen sollte: die Barentssee. Dieser Artikel erzählt seine Geschichte – zunächst als Kind der Insel, dann als Mann im Eis, schließlich als Spur, die selbst Jahrhunderte später noch spürbar ist.

Ein Mann gegen das Eis: Willem Barentszoons Expeditionen

Als Barentszoon in Formerum zur Welt kam, war Terschelling ein Ort der Seefahrer und Geschichten. Zwischen Salzluft und Sturm wuchs ein Junge heran, der bald die Seekarten studierte wie andere das Neue Testament. Er wurde Kartograf, Navigator, Gelehrter – und schließlich einer der kühnen Männer, die im 16. Jahrhundert ein Ziel verfolgten, das größer war als ihre Boote: den Seeweg nach China – durch die Arktis.

Dreimal brach Willem Barentszoon im Auftrag der Niederlande auf. Die erste Reise 1594 führte ihn entlang der Küste Nowajasemljas, wo er erstmals auf das Packeis stieß – ein kalter Vorhang, der sich nicht zur Seite schieben ließ. Die zweite Expedition im Jahr darauf brachte ihn weiter, aber auch hier blieb der Norden verschlossen. Doch Barents gab nicht auf.

1596 brach er erneut auf – diesmal mit zwei Schiffen und der Hoffnung, über Spitzbergen nach Osten zu gelangen. Es war auf dieser letzten Reise, dass sich sein Schicksal erfüllte. Nach wochenlangem Kampf mit Treibeis und arktischem Wetter strandete Barents mit seiner Crew erneut an der Küste Nowajasemljas. Die Männer bauten sich aus den Planken ihres gestrandeten Schiffs eine Hütte im Eis – das „Behouden Huys“. Ein Winter im ewigen Frost begann. Sie überlebten Hunger, Skorbut und Kälte – Barents selbst aber starb im Juni 1597 bei der mühevollen Rückreise im offenen Boot.

Die Route, die er kartiert hatte, wurde nie zur Handelsstraße. Doch sie veränderte das Bild der Welt. Willem Barentszoon hatte mehr entdeckt als nur Inseln und Küstenlinien – er hatte die Grenzen menschlichen Muts neu vermessen.

Barents’ Spuren auf Terschelling

Willem Barentszoon kehrte nie nach Terschelling zurück. Und doch ist er nie fort. Auf den Keramikfliesen der Inselkneipen, in den Schulbüchern, Straßennamen und im kleinen Museum in West-Terschelling lebt er weiter – als Erinnerung an jenen Seemann, der den Mut hatte, dort weiterzusegeln, wo die Welt aufhörte, und dessen Name heute mit einem eisigen Meer nördlich von Russland verbunden ist.

Am Ort seiner Geburt, in Formerum, steht eine Gedenktafel. Sie blickt auf Schafe, Windräder und einen Himmel, der manchmal selbst wie eine See aus Licht erscheint. Das „Behouden Huys“, die nachgebaute Winterhütte aus der Arktis, ist heute ein Herzstück des gleichnamigen Museums auf Terschelling – nicht nur ein Denkmal für Barents’ letzte Expedition, sondern auch ein Symbol für Durchhaltewillen und Weitblick.

Mitten in West‑Terschelling steht ein Haus wie aus einem Märchen gerückt – schlicht, harmonisch, in sich ruhend. Dieses historische Gebäude aus dem 17. Jahrhundert beherbergt das Museum ’t Behouden Huys, benannt nach der hölzernen Winterhütte, die Willem Barentszoon und seine Crew 1596 in der Arktis errichteten – und in der ihr Überleben begann.

Wer das Museum betritt, wird nicht mit prunkvollen Gemälden konfrontiert, sondern mit dem echten Leben der Insel. In zwei originalen Kommandeurshäusern und einem Neubau entfalten sich wechselnde und dauerhafte Ausstellungen zur Inselsaga: von Schiffsfunden über Seefahrtsgeräte bis hin zu Überresten des „Behouden Huys“. Im Zentrum steht Barents’ gefrorene Expedition – mit einer detailgetreuen Nachbildung des Behausungsbunkers auf Nova Zembla und Artefakten, die in der Dunkelheit der Polarzeit überlebt haben.

Darüber hinaus wecken Miniaturen wie das Wrack der Lutine, die Geschichte der englischen Brandrodung von 1666 oder lokale Legenden lebhafte Bilder von Aufbruch, Verlust und Gemeinschaft. Für Familien gibt es Hörstationen, die in niederländischer Sprache – und in drei lokalen Dialekten – erzählen, mit begleitenden Versionen in Deutsch und Englisch.

Die Ausstellung mag bescheiden sein, aber gerade darin liegt ihre Kraft: Sie vermittelt Insellogik statt Globalkunst, Erzählkraft statt Großgeschichte. Die Atmosphäre ist intim, die Objekte wirken, als seien sie gerade erst aus den Wellen gespült worden – echt, klar, ohne Überladung. Die Kuratoren lassen Inselgeschichten leben – von Seefahrern, Jutters, Entdeckern und alltäglichen Menschen.

Denn das ist es, was Barentszoons Geschichte ausmacht: Sie ist ein Echo jener Zeit, in der Menschen die Weltkarte nicht nur betrachteten, sondern sie mutig erweiterten. Und sie erinnert daran, dass Inseln nicht am Rand der Welt liegen – sondern mitten in ihr. Terschelling weiß das. Und wenn der Nordwind über die Dünen streicht, hört man ihn manchmal noch: den Ruf des Meeres, dem Willem Barentszoon einst folgte.


Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert